Das Landesberufsgericht für Ärzte Stuttgart (LBerufG) hat entschieden, dass der Begriff des Zentrums nach insoweit gewandelter Verkehrsauffassung nicht notwendigerweise voraussetzt, dass hieruntereine Einrichtung mit mindestens zwei Ärzten zu verstehen ist. Die beschuldigte Ärztin ist Fachärztin für Neurochirurgie und als niedergelassene Ärztin tätig. Sie führt eine Einzelpraxis, die sie im Internet und auch an der Praxistür sowie auf einem Hinweisschild mit dem Begriff „Wirbelsäulenzentrum“ bewirbt. Auf dem Hinweisschild und an der Praxistür folgt nach obigem Begriff der Name der Beschuldigten. Die Beschuldigte ist auf die Behandlung von Beschwerden der Wirbelsäule spezialisiert. Ihr Behandlungsspektrum umfasst spezielle schmerztherapeutische Behandlungenunter Röntgendurchleuchtung und operative Behandlungen. Die Beschuldigte führt jährlich zwischen 200 und 260Operationen durch, überwiegend Operationen bei Bandscheibenvorfällen und Stenosen (auch der Halswirbelsäule). Etwa 25 Operationen jährlich führt sie am lliosacralgelenk (ISO) mittels Distraktionsinterferenzarthrodese (DIANA) durch. In der Region wird diese Behandlungsmethode nur von der Beschuldigten angeboten. Diagnose und Nachversorgung der Patienten erfolgen - auch bei stationären Operationen - in den Praxisräumlichkeiten der Beschuldigten. Operationen wurden bis zum 30.06.2021 durch die Beschuldigte in den Räumen des Gesundheitszentrums L durchgeführt, seitdem im Rahmen einer Kooperation mit der AOK-GmbH u.a. am Standort B. Mit Schreiben der Bezirksärztekammer Südwürttemberg vom 08.04.2020 wurde die Beschuldigte darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung als „Zentrum“ als Mindestvoraussetzung die Beteiligung von zwei einschlägig qualifizierten Ärzten voraussetzt, und aufgefordert, eine Umbenennung ihrer Praxis ohne Verwendung des Zentrumsbegriffs bis zum15.05.2020 vorzunehmen und die Erledigung schriftlich mitzuteilen. Dies ist nicht erfolgt. Nach Auffassung des LBerufG ist die beschuldigte niedergelassene Fachärztin für Neurochirurgie im Hinblick auf die von ihr werbend für ihre neurochirurgische Einzelpraxis gebrauchte Formulierung „Wirbelsäulen-Zentrum U/L“ vom Vorwurf der berufswidrigen Werbung nach § 27Abs. 3 BerOÄ freizusprechen. Die Regelung untersagt Ärzten berufswidrige Werbung, wobei insbesondere die irreführende Werbung als berufswidrig anzusehen ist. Irreführend ist eine Werbung dann, wenn sie geeignet ist, bei einem erheblichen Teil des umworbenen Empfängerkreises „irrige Vorstellungen über das Angebot hervorzurufen und die zu treffende Marktentschließung in wettbewerblich relevanter Weise zu beeinflussen“. Für die Frage, ob eine Werbeaussage irreführend ist, komme es maßgeblich darauf an, wie sie vom Empfängerkreis, an den sie gerichtet ist, verstanden wird. Der hier im Zusammenhang mit angebotenen ärztlichen Dienstleistungen in Frage stehende Begriff „Zentrum“ hat nachwww.duden.de mehrere Bedeutungen, ausgehend von ,Mitte', ,Mittelpunkt' (etwa Stadtzentrum) über ,Bereich, der in bestimmter Beziehung eine Konzentration aufweist und daher von erstrangiger Bedeutung ist' (z.B. geistiges Zentrum) bis hin zu einer ,Anlage, wo bestimmte Einrichtungen(für jemanden, etwas) konzentriert sind (z.B. Zentrum für die Jugend). Der Begriff des „Zentrums“ habe in den letzten Jahren nicht nur bei Dienstleistern im nichtmedizinischen Bereich(,,Center“) einen Bedeutungswandel dahinerfahren, dass eine Einordnung nichtmehr in erster Linie anhand der Betriebsgröße erfolge; auch was ärztliche „Zentren“ angehe, sei eine deutliche Zunahme dieser Begrifflichkeit zur Kennzeichnung von ärztlichen Standorten bis hin zu Einzelpraxen zu beobachten. Der Prozessbevollmächtigte der Beschuldigtenhabe nachvollziehbar dargelegt, dass sowohl in der näheren Umgebung als auch im weiteren Baden-Württemberg sowie anderen Bundesländern eine größere Zahl von ärztlichen Zentren, darunter etwa - sämtlich als Einzelpraxen – das „Gelenkzentrum U", „das „Schulter- und Ellenbogen Zentrum R", „das „Neurologie Zentrum I“ oder das „Venenzentrum A" existieren. Mit der dargestellten Häufung der Bezeichnung ärztlicher Praxen als Zentren für eine näher benannte Spezialisierung der ärztlichen Tätigkeit gehe, abhängig von der näheren Bezeichnung des „Zentrums“, neben dem Bedeutungswandel des Zentrumsbegriffs auch eine Veränderung der Vorstellung von Patientendavon einher, was sie in einem solchen Zentrum erwartet. Neben der nach wie vor möglichen Vorstellung von einer größeren, ggf. fachübergreifenden medizinischen Einrichtung mit mehreren Ärzten, sei angesichts ärztlicher Zentren mit Bezug auf eine Spezialisierung, die keine eigene medizinische Fachrichtung oder Facharztbezeichnung darstellt, auch die Vorstellung eines Bereichs verbunden, der in bestimmter Beziehung eine Konzentration aufweist und daher von erstrangiger Bedeutung ist, ohne dass der Zahl der Ärzte eine Bedeutung zukommt. Die sozialrechtlichen Vorgaben für medizinische Versorgungszentren in § 95Abs. 1 Satz 2 SGB V entfalte keine Sperrwirkung in dem Sinn, dass sich nur medizinische Versorgungszentren als Zentrumbezeichnen dürfen oder die Benennung als Zentrum wie dort eine Zusammenarbeit von mehreren Personen voraussetzt. Die Bezeichnung als „Wirbelsäulenzentrum“ sei danach nicht irreführend. Das LBerufG ist der Auffassung, dass die Einzelpraxis der Beschuldigten in der Weise dem auch im ärztlichen Bereich gewandelten Zentrumsbegriff gerecht werde, als sie eine regional „zentrale“ Einrichtung zur Behandlung der Wirbelsäule darstellt und insoweit eine besondere Bedeutung für die Versorgung hat. Die Beschuldigte habe hinreichend dargetan, dass sie in ihrer Praxis nicht nur das volle Spektrum neurochirurgischer Behandlungen der Wirbelsäule von der Anamnese und Diagnose bis hin zur Operation und Nachsorge „aus einer Hand“ anbietet, sondern sich darüber hinaus durch das Angebot und die Durchführung der Behandlung des ISO mittels der sog. DIANA, welche in der Region alleine durch sie angeboten wird, von den üblicherweise zu erwartenden Methoden zur Behandlung der Wirbelsäule abhebt.
Quelle: LBerufG Ärzte Stuttgart, Urt. v.20.7.2022, LBGÄ Nr. 1/2022
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