Die Bedeutung der ärztlichen Schweigepflicht erklärt sich aus der Entwicklung der Schweigepflicht innerhalb der Geschichte der ärztlichen Tätigkeit. Schon der Eid des Hyppokrates verlangt:
“Was immer ich sehe und höre bei der Behandlung oder außerhalb der Behandlung im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach außen ausgeplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles Derartige als solches betrachte, dass nicht ausgesprochen werden darf.“[1]
Im weiteren Verlauf der Geschichte der Ärzteschaft wird die Verschwiegenheit als Tugend des Arztes angesehen, sie ist also eine moralische Forderung. Rechtlich wurde diese Verpflichtung nicht verankert.
Diese Entwicklung galt bis zum 17. Jahrhundert. Interessanterweise waren die Anwälte durch das Reichskammergericht ab 1495 zur Verschwiegenheit verpflichtet. Eine solche Verpflichtung zu Verschwiegenheit für die Ärzteschaft wurde erstmalig im preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 statuiert und der Verstoß mit Strafe belegt.[2]
Im 19. Jahrhundert wandelte sich die ärztliche Verschwiegenheit von einer Berufspflicht zu einer in den Medizinalordnungen und Strafgesetzen kodifizierte Rechtspflicht.
In der 1877 verabschiedeten Strafprozessordnung mit der Gewährung eines Schweigerechts wurde dies formell vollzogen.[3]
Heute gilt seit 1975 § 203 StGB und § 9 Musterberufsordnung der Ärzte als strafrechtliche und standesrechtliche Regelung der ärztlichen Schweigepflicht. Es ist also ein langer Weg von der Antike bis in die heutige Zeit, in der die ärztliche Schweigepflicht entweder als moralischer Wert oder gesetzlicher Anspruch gesehen worden ist. Diese geschichtliche Entwicklung zeigt damit auch die Bedeutung der ärztlichen Schweigepflicht für das im Gesundheitswesen wichtige „Arzt – Patienten – Verhältnis“ und die damit verbundene Sicherung einer guten Gesundheitsversorgung. Ihre inhaltliche Festlegung dieser Bedeutung wird in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG vom 08.03.1972 in BVerfGE 32,373 sehr prägnant zum Ausdruck gebracht.
“Wer sich in ärztliche Behandlung begeben muss, darf erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt. Nur so kann zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, dass zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens zählt, weil es die Chance der Heilung vergrößert und damit - im ganzen gesehen - der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge dient.“[4]
Die Schweigepflicht unterfällt nach heutigem Verfassungsverständnis also dem Schutz des geschützten privaten Bereiches des Patienten. Sie nimmt damit teil an dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG teil, der dem Einzelnen Schutz vor dem Zugriff der öffentlichen Gewalt gewährt.[5]
Die Bedeutung der ärztlichen Schweigepflicht ist also unter Bezug auf die bereits geäußerte verfassungsrechtliche Absicherung dieser ärztlichen Verpflichtung für seine Ausübung des Heilberufes dahin darzustellen, dass sie ein wesentliches Moment der ärztlichen Tätigkeit ausmacht, da das Vertrauen des Patienten in seinen Arzt einen wesentlichen Beitrag für den Heilungsprozess darstellt.
Die Auswirkungen dieser Bedeutung der Schweigepflicht sind vielseitig und bestimmend für die Art der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit.
Im Rahmen der Frage nach der Auswirkung dieser ärztlichen Schweigepflicht, ist zu fordern, dass sie weitest gehend zu respektieren ist, sowohl im Rahmen der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Tätigkeit von öffentlichen Verwaltungen. Aber auch im privaten Bereich, im Rahmen vertraglicher Abmachung, gilt die gleiche Forderung.
Grundsätzlich gilt also für den Arzt die Einhaltung der Schweigepflicht für alle ihm anvertrauten Geheimnisse während der ärztlichen Behandlung bis zu seinem Lebensende. Grundsätzlich ist also der Schutz der Schweigepflicht zu fordern, da sie eine erhebliche Bedeutung in den Gesundungsprozessen der Patienten aufgrund des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient hat. Die an sich uneingeschränkte Verpflichtung der Einhaltung der Schweigepflicht kann den Arzt aber auch in Spannungsverhältnisse gegenüber den verschiedenen Institutionen und privaten Forderungen von Dritten bringen. Von dieser grundsätzlichen Forderung der uneingeschränkten Einhaltung der Schweigepflicht gibt es eine Reihe gesetzlicher Regelungen, die dem Allgemeinwohl dienen, zum Beispiel Mitteilung an die Gesundheitsbehörden bei bestimmten ansteckenden Erkrankungen, bei Kenntnis von Straftaten nach § 138 StGB.
Sie sind rechtlich so eindeutig geregelt und sie erschweren damit nicht die strenge Einhaltung der Schweigepflicht durch den Arzt, weil sie eindeutige Regelungen in diesen Fällen über die Befreiung von der Schweigepflicht haben.
Eine ganz andere Situation ergibt sich allerdings für den Arzt aus den Abwägungen in gerichtlichen Urteilen und dem Informationsbedürfnis von Behörden, sowie von Dritten gegenüber dem Arzt im Hinblick auf die Einhaltung seiner Schweigepflicht. Hier muss allerdings nicht besonders klargestellt werden, dass diese Problematik für den Arzt nicht auftritt, wenn der Patient ihn ausdrücklich von der Verschwiegenheitspflicht entbunden hat.
An einigen Rechtsbereichen aus neuerer Zeit soll dieses Spannungsverhältnis, in dass der Arzt bei Einhaltung seiner Verpflichtung zu einer an sich unbegrenzten Schweigepflicht gelangt, im Hinblick auf das Auskunftsbegehren von Behörden und Gerichten sowie von Dritten dargestellt werden.
Als ein Beispiel dieser Problematik kann für den Abwägungsprozess zwischen höherwertigen Rechtsgütern und dem Rechtsgut der Schweigepflicht auf das rheinland-pfälzische Kinderschutzgesetz verwiesen werden. Es ist zweifelsfrei. dass die Zielsetzung dieses Gesetzes volle Unterstützung verdient. Allerdings werden die Forderungen an den jeweiligen Arzt nach Kontaktnahme mit Gesundheitsbehörden insbesondere im Hinblick auf eine Befreiung von seiner Schweigepflicht nicht geregelt.
Dem Arzt wird hier ein Abwägungsprozess zugemutet zwischen Gesundheitsschutz vor der elterlicher Gewalt und der Schweigepflicht, die auch in diesen Fällen ein wichtiges Moment für eine Einflussnahme des Arztes auf die Eltern bzw. Erzieher ausüben kann. Sie verliert aber ihre Bedeutung bei dem Abwägungsprozess, der dem Arzt, der sich in ihr einer Notsituation befinden kann, unter Bezugnahme auf § 34 StGB aufgibt, seine Schweigepflicht zu brechen zu Gunsten des höherwertigen Rechtsguts der Kindesgesundheit. Trotzdem ist im Rahmen einer solchen Situation nicht auszuschließen, dass sich der Arzt aufgrund von Anzeigen der betroffenen Eltern standesrechtlicher Disziplinarverfahren oder gar strafrechtlicher Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ausgesetzt sieht.
In diesem Zusammenhang ist auch das Urteil des OLG Frankfurt vom 05.10.1999 - 8 U 67/99 - zu erwähnen, indem das Gericht den Arzt verurteilte, weil er bei seiner Abwägung nicht zu Gunsten des höherwertigen Rechtsguts der Gesundheit seiner Patientin im Hinblick auf eine HIV-Gesundheitsgefährdung durch ihren Ehemann, der ebenfalls von dem Arzt behandelt wurde, seine Schweigepflicht infolge seiner Garantenpflicht gegenüber seiner Patientin aufgegeben hat.[6]
Eine ähnliche Problematik entsteht im Hinblick auf die Abwägung bezüglich der Einhaltung der Schweigepflicht gegenüber dem Schutz eines höherwertigen Rechtsgutes „Sicherheit der Bevölkerung im Straßenverkehr“, wenn der Arzt im Rahmen einer Pflichtbegutachtung eine epileptische Erkrankung eines Berufskraftfahrers feststellt. Hier musste der Arzt entscheiden, ob er das Vertrauen des Patienten durch Aufgabe seiner Schweigepflicht zu Gunsten der Unterrichtung der Verkehrsbehörden aufgibt.[7]
Ein neuerdings weiterer Bereich zur Problematik zur Einhaltung der Schweigepflicht ergibt sich aus der Rechtsprechung der Zivilgerichte zu Gunsten von Erben, die einen Schadensersatzanspruch gegen den Arzt oder wegen einer Schädigung des Erblassers im Rahmen eines Kraftfahrzeugunfalls geltend machen, und insoweit die Aufgabe der Schweigepflicht des Arztes hinsichtlich einer Auskunft über die Erkrankungen des Erblassers verlangen.
Die Rechtsprechung anerkennt das Bestehen der Schweigepflicht des Arztes nur für den Fall, dass der Erblasser ausdrücklich dem Arzt eine Offenbarung seiner Erkrankung untersagt hat, die der Arzt im Rahmen der Weigerung zu der begehrten Information darlegen muss. Der einfache Bezug auf das Bestehen der Schweigepflicht, auch über den Tod eines Patienten hinaus, wird hier nicht als ausreichend für die Weigerung einer Auskunft über den Gesundheitszustand des Patienten anerkannt.[8]
Eine Reihe neuer Gesetze schaffen allerdings neue Verpflichtungen im Hinblick auf die Schweigepflicht .Hier seien nur die Auskünfte im Rahmen der Untersuchungen nach dem Diagnostikgesetz erwähnt. Hier werden neue Verpflichtungen der untersuchenden Ärzte an ihre Schweigepflicht gestellt.[9]
Ein weiterer Problembereich ergibt sich im Rahmen der Anwendung moderner Kommunikationsmittel. Hier stellt sich die Frage - und sie wird im letzten unterschiedlich beantwortet-, ob der Arzt einen Dritten mit der Wartung seiner EDV-Anlage betrauen darf, obwohl diesem damit auch der Zugang auf die besonders geschützten Sozialdaten von Patienten ermöglicht wird.[10] .
Um es vorab zu sagen, dass aus unserer Sicht, - und viele Autoren in entsprechenden Aufsätzen legen dies dar, letztendlich rechtliche Sicherheit in diesem Bereich nur gewährleistet werden kann, wenn eine klare gesetzliche Regelung für diesen Bereich des Einsatzes von Dritten bei Wartung und Eingabe von Dokumenten (scannen) erfolgt.
Hier könnten die Regelungen im Krankenhausbereich Beispiel sein (landesrechtliche Regelungen).
Für die ärztliche Praxis besteht eine solche Regelung nicht. Das bedeutet, dass letztlich eine Einwilligung der Patienten eingeholt werden muss, um diese Dienstleistung durch einen Dritten durchführen zu lassen.
Die Hilfskonstruktion über den Begriff des Gehilfen im Sinne des § 203 StGB in diesem Falle dürfte keine erfolgreiche Option für eine Erlaubnis der Tätigkeit eines Dritten im Rahmen seiner Tätigkeit der Überwachung von Computern und Eingabe von Dokumenten sein. Unter Gehilfen versteht man eindeutig nur die engeren Mitarbeiter des Arztes im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit in seiner Praxis.
Auch eine Regelung im Rahmen der Auftragsdatenverarbeitung scheitert an dem Umstand, dass hier die Schweigepflicht im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit, ein solches Vorgehen dann nicht mehr zulässt, wenn diese betroffen ist.. Eine Regelung nach § 11 Bundesdatenschutzgesetz greift hier nicht, weil der Datenschutz hinter die ärztliche Schweigepflicht tritt.
Auch im Rahmen der Handhabung der Beschlagnahmung von Patientenakten zur Aufklärung von Abrechnungsbetrugstatbeständen von Ärzten ist manchmal eine mangelnde Rücksicht auf die Rechte der Patienten im Hinblick auf die Geheimhaltung ihrer dem Arzt anvertrauten Geheimnisse bezüglich ihrer Gesundheit festzustellen.
Eindeutig hat die Rechtsprechung die Beschlagnahmung von Krankenakten als unzulässig erklärt, sofern Sie zur Aufklärung von Straftaten des Patienten dienen soll. Dies gilt auch für den Fall, dass die Patientenakte an einen Nachfolger in der Praxis übergeben wurde.[11]
Zum Abschluss möchte ich im Hinblick auf die Problematik also die Auswirkungen der Schweigepflicht auf die neue Situation zur Einsicht von Krankenunterlagen durch ein Zitat aus dem Aufsatz von Kensy “ Das zivilrechtliche Einsichtsrecht in Krankenunterlagen nach der Neuregelung“ in MedR 20 (13),767 hinzuweisen.
Hier heißt es:
„Die Neuregelung stärkt das Einsichtsrecht des Patienten in verschiedener Hinsicht. Der Behandelnde wird die Einsicht aufgrund des „Therapievorbehalts“ künftig nur noch bei einer substantiierten Gefahrenprognose für die Gesundheit des Patienten verweigern können. Der Einwand, dass die Krankenunterlagen persönliche Aufzeichnungen enthalten, ist ihm nach der Neufassung in aller Regel abgeschnitten. Zudem kann der Patient nunmehr jederzeit eine Kopie seiner Patientenakte verlangen, ohne die anfallenden Kosten vorzuschießen. Zurückbehaltungsrechte wegen der anfallenden Kopierkosten werden bei der Formulierung des Klageantrags jedoch auch nach der Neufassung weiterhin zu berücksichtigen sein. Schließlich steht dem Patienten außerhalb einer vertraglichen Vereinbarung einklagbarer Anspruch auf die Zusendung der Abschrift grundsätzlich nichts zu, kann bei einem wichtigen Grund aber ausnahmsweise geschuldet sein.“[12]
Das Verlangen nach uneingeschränkter Einhaltung der Schweigepflicht des Arztes kann in dieser Form also nicht aufrechterhalten werden. Die rechtliche Abwägung zwischen einem höherwertigen Rechtsgut und der Schweigepflicht wird weiterhin ein Einzelfall bleiben, eine gesetzliche Regelung ist nicht zu erwarten wegen der Vielfältigkeit der einzelnen Tatbestände. Ein Hilfsmittel stellt die Bestimmung über einen übergesetzlichen Notstand nach § 34 StGB dar.
In den anderen aufgezählten Fällen müssten rechtliche Klarstellungen erfolgen. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Maßnahmen in einer elektronischen Datenverwaltung innerhalb der ärztlichen Praxis.
Mainz, den 17.09.2014
Rechtsanwalt Eckhard Mäurer
als beratender Anwalt der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz und der Bezirkskammer Rheinhessen in der Kanzlei Fromm und Partner, Mainz.
[1] nach Laufs/Kern Handbuch des Arztrecht § 65 Rdnr.1 und 2
[2] nach Lauf/Kern Handbuch des Arztrecht § 65 Rdnr.3
[3] nach Lauf/Kern Handbuch des Arztrecht § 65 Rdnr.4
[4] BVerwG vom 08.03.1972
[5] BVerwG vom 08.03.1972
[6] OLG Frankfurt Urteil vom 05.10.1999
[7] OLG München Urteil vom 06.12.2012 - 1 U 4005/12 Rdnr. 36
[8] OLG Naumburg Beschluss vom 09.12.2004, - 4 W 43/04 in NJW 2005, S.2017-
[9] z.B. Gendiagnostikgesetz
[10] Zum Ganzen ausführlich in B. Buchner „Outsourcing in der Arztpraxis – zwischen Datenschutz und Schweigepflicht“ MedR 31 (13), S.337ff.
[11] BVerfG Beschluss 08.03.1972 Leitsatz und Rdnr.47
[12] Kensy in MedR 31 (2013),S.767 (772)
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