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LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.07.2022 - 5 Sa 461/21
Arbeitsrecht

Tenor:

  1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 18. November 2021, Az. 8 Ca 1008/21, abgeändert und die Klage abgewiesen.
  2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Wartezeitkündigung.

Die 1987 geborene Klägerin (verheiratet, drei Kinder) war bei der Beklagten seit dem 1. Februar 2021 auf der Grundlage eines bis zum 31. Januar 2022 sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags als medizinische Fachangestellte in Teilzeit (zuletzt mit 12,2 Wochenstunden) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst in der für den Bereich Krankenhäuser maßgeblichen Fassung (TVöD-K) anwendbar. Die Monatsvergütung der Klägerin betrug nach Entgeltgruppe 5 TVöD-K € 1.200,00 brutto.

Die Beklagte, eine gemeinnützige GmbH in kommunaler Trägerschaft, betreibt ein Krankenhaus der Maximalversorgung. Von den 3.100 Arbeitnehmern waren nach Angaben der Beklagten (bis Mitte November 2021) insgesamt 250 - so auch die Klägerin - nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft. Die Klägerin wurde als Mitglied eines Pools von medizinischen Fachangestellten auf verschiedenen Stationen in der Patientenversorgung eingesetzt. Sie nahm die Impfangebote der Beklagten nicht wahr, weil sie sich nicht gegen SARS-CoV-2 impfen lassen wollte.

Mit Schreiben vom 28. Juni 2021 hörte die Beklagte den zuständigen Betriebsausschuss zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin zum 31. Juli 2021 an. Sie führte aus, sie wolle das Arbeitsverhältnis beenden, weil die Klägerin nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft sei und der zuständigen Pflegedienstleiterin mitgeteilt habe, dass sie sich nicht impfen lassen wolle. Der Betriebsausschuss widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 5. Juli 2021.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 22. Juli zum 31. August 2021. Hiergegen wehrt sich die Klägerin mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage. Sie macht insbesondere geltend, die Kündigung verstoße gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22. Juli 2021 nicht beendet worden ist, sondern bis zum 31. Januar 2022 fortbesteht,
  2. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens, längstens bis zum 31. Januar 2022, zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als medizinische Fachangestellte weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 18. November 2021 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die Wartezeitkündigung sei nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 612a BGB unwirksam. Die Klägerin habe ihr Recht ausgeübt, sich nicht gegen SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Ihre Entscheidung sei durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 GG) geschützt, zumal keine gesetzliche COVID-19-Impfpflicht bestanden habe. Weil die legitime Impfweigerung der Klägerin tragender Beweggrund für die Kündigung gewesen sei, habe die Beklagte das Maßregelungsverbot verletzt. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 18. November 2021 Bezug genommen.

Gegen das am 2. Dezember 2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 10. Dezember 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 1. Februar 2022 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie macht im Wesentlichen geltend, das Maßregelungsverbot greife im Streitfall nicht ein. Die Vorschrift des § 612a BGB erfasse einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit; der Arbeitnehmer solle vor einer rücksichtslosen Durchsetzung von Arbeitgeberinteressen geschützt werden. Dementsprechend erfasse § 612a BGB nach Sinn und Zweck die Fälle, in denen der Arbeitgeber auf die Geltendmachung gesetzlicher Rechte durch den Arbeitnehmer mit Sanktionsmaßnahmen reagiere. Die vorliegende Konstellation falle schon deshalb nicht unter den Anwendungsbereich von § 612a BGB, weil sie als Arbeitgeberin eine Abwägungsentscheidung unter Einbeziehung Dritter treffen müsse, denen gegenüber sie besondere Sorgfalts- und Schutzpflichten trage. Als Krankenhausträger der Maximalversorgung habe sie außerordentlich weitreichende Sorgfalts- und Schutzpflichten für Leib und Leben der Patienten zu beachten. Wenn sie aufgrund dieser Schutzpflichten entsprechende Vorsichtsmaßnahmen gegenüber ihrem Pflegepersonal ergreifen müsse, stelle dies schon begrifflich keine "Maßregelung" dar. Selbst wenn man zu einer Anwendung von § 612a BGB kommen sollte, habe die durch Art. 2 GG geschützte Entscheidung der Klägerin, sich nicht gegen Sars-CoV-2 impfen zu lassen, keinen Vorrang gegenüber den zu beachtenden Sorgfalts- und Schutzpflichten im Krankenhausbetrieb. Bereits nach dem Wortlaut des Art. 2 GG stehe das allgemeine Persönlichkeitsrecht unter dem Vorbehalt, dass durch seine Ausübung nicht die Rechte anderer Personen verletzt werden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei nicht grenzenlos gewährleistet, so dass eine Abwägung der widerstreitenden Rechte und Schutzinteressen erforderlich sei. Im Streitfall führe diese Abwägung dazu, dass der Schutz von Leib und Leben der Patienten vor einer eventuellen Infektion mit Sars-CoV-2 durch ungeimpftes Pflegepersonal vorrangig sei. Die Klägerin müsse bei Ausübung ihrer Tätigkeit notwendigerweise in unmittelbaren Kontakt mit den Patienten treten, so dass die ansonsten geltenden Abstandsregeln nicht eingehalten werden könnten. Wie aus den vom Robert-Koch-Institut veröffentlichten Zahlen allgemein bekannt sei, bestehe ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko durch nicht geimpfte Personen. Dies könne zu schweren und tödlichen Krankheitsverläufen der von ihnen infizierten Dritten führen. Ein Krankenhausträger sei zum Schutz der Patienten verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen um dieses Infektionsrisiko, wenn auch nicht auszuschalten, so doch weitestmöglich zu verringern. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Schutzmaßnahmen bestehe darin, dass die Patienten ausschließlich von geimpftem Personal behandelt werden. Der Schutz der Patienten könne auch nicht durch mildere Maßnahmen, bspw. durch Testung der ungeimpften Beschäftigten, erreicht werden. Es sei allgemein anerkannt, dass die Corona-Schnelltests nur in eingeschränktem Maße verlässlich seien, so dass ein Restrisiko beim Patientenkontakt bleibe. Im Übrigen greife im Streitfall der aus dem ultima-ratio-Prinzip folgende Grundsatz, wonach das jeweils mildeste Mittel einzusetzen sei, nicht ein, weil die Klägerin keinen Kündigungsschutz genoss.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 18. November 2021, Az. 8 Ca 1008/21, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Die Kündigung verstoße gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Die Beklagte habe von ihr die Einwilligung in eine Körperverletzung unter Androhung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt. Ein arbeitsvertraglicher Anspruch der Beklagten auf einen COVID-19-Impfschutz habe nicht bestanden. Sie sei auch gesetzlich nicht verpflichtet gewesen, sich impfen zu lassen. Die Beklagte sei gesetzlich nicht verpflichtet gewesen, kein ungeimpftes Pflegepersonal zu beschäftigen. Ein Arbeitgeber, der mehrere hundert Arbeitnehmer trotz fehlender COVID-19-Impfung beschäftige, aber ihr kündige, weil sie seinem Impfwunsch nicht entsprochen habe, begebe sich in einen Wertungswiderspruch. Durch eine in der Europäischen Union zugelassen Impfung gegen SARS-CoV-2 würden für einen derzeit noch nicht klar bestimmbaren Zeitraum (wohl mindestens drei Monate wie auch bei Genesenen), bei Mehrfachimpfung wohl für einen längeren Zeitraum, zwischen höchstens 75 % bis 90 % der geimpften Personen immun. Inwieweit hierbei die Immunität lediglich die Erkrankung verhindere, nicht jedoch die Übertragung, sei nicht abschließend geklärt. Gleichzeitig bedeute dies, dass von den geimpften Personen weiterhin mindestens zwischen 10 % und 25 % erkranken könnten und lediglich vor schweren Verläufen besser geschützt seien. Ohne weitreichende weitere Maßnahmen sei das vorgegebene Ziel des Patientenschutzes nicht zu erreichen. Das eigentliche Ziel der Beklagten ergebe sich aus der Empfehlung der deutschen Krankenhausgesellschaft. Dieser Arbeitgeberverband habe die Empfehlung ausgegeben, auf weitere Testungen bei gleichzeitiger (zweimaliger) COVID-19-Impfung der Beschäftigten zu verzichten. Der Testverzicht führe jedoch zu keiner höheren Sicherheit für die Patienten oder die übrigen Beschäftigten, sondern - aufgrund der Übernahme der Impfkosten durch den Bund - zu der für Krankenhäuser fiskalisch günstigsten Lösung. Da der Beklagten zum Kündigungszeitpunkt eine ausreichende Palette sonstiger Maßnahmen zur Verfügung gestanden habe (Corona-Schnelltests, FFP-2- und FFP-3-Masken, Luftaustausch durch Lüften oder Einsatz von Luftreinigungsgeräten), um das Infektionsrisiko der Patienten und der übrigen Beschäftigten zu minimieren, sei es nicht gerechtfertigt gewesen, in ihre körperliche Unversehrtheit und Entscheidungsfreiheit einzugreifen. Die monetären Interessen der Beklagten müssten eindeutig hinter dem Kernbereich ihres Persönlichkeitsschutzes aus Art. 2 GG zurücktreten. Dies gelte umso mehr, als die Beklagte lediglich die Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern ohne Kündigungsschutz nach dem KSchG angestrebt habe. Hierin liege eine sachlich nicht zu begründende Ungleichbehandlung, womit die Beklagte nicht nur den Allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, sondern auch Art. 51 und Art. 20 EUR-GRCharta iVm. Art. 2 RL 1999/70/EG und § 4 EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge verletzt habe. Die Kündigung sei auch deshalb unwirksam. Die Beklagte habe die Reichweite der Dispositionsbefugnis des Arbeitgebers verkannt und die Schranke des Persönlichkeitsschutzes der Arbeitnehmer völlig außer Acht gelassen. Sie habe - weil fiskalisch nicht erwünscht - weder ein alternatives Handeln zum Schutz der anderen Beschäftigten und der Patienten diskutiert, noch eine Rechtsgüterabwägung - auch im Hinblick auf bestehende Restrisiken bei COVID-19-Impfungen und die faktisch erzwungene Einwilligung unter Verletzung ihrer körperlichen Unversehrtheit zur Vermeidung von arbeitsrechtlichen Nachteilen - durchgeführt.

Aufgrund des kollektiven Charakters sei die Einführung einer Impf-Obliegenheit der Arbeitnehmer nur im Rahmen einer freiwilligen Betriebsvereinbarung gemäß § 88 Nr. 1 BetrVG möglich. Bestehe eine solche nicht, seien lediglich Regelungen des Gesundheitsschutzes aufgrund gesetzlicher Vorschriften und Unfallverhütungsvorschriften erzwingbar, wobei unstreitig sei, dass für die COVID-19-Impfung solche Regelungen nicht bestehen. Auch wenn man die Begründung einer solchen Obliegenheit unter die "Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb" iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG subsumieren wollte, wäre ohne eine Beachtung der Mitbestimmungsrechte eine solche Regelung wegen Gesetzesverstoßes nichtig und unwirksam. Darüber hinaus müssten auch bei einer solchen Regelung die inneren Schranken, insbesondere der Diskriminierungsverbote und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer Beachtung finden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Gründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die Kündigung der Beklagten vom 22. Juli 2021 ist wirksam und hat das befristete Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf der tariflichen Kündigungsfrist zum 31. August 2021 beendet. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist deshalb abzuändern und die Klage abzuweisen.

  1. Die Klägerin genoss bei Zugang der Kündigung keinen allgemeinen Kündigungsschutz, weil ihr Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate bestanden hat, so dass die Wartezeit nach § 1Abs. 1 KSchG nicht erfüllt war. § 15Abs. 3 TzBfG steht der Kündigung nicht entgegen, weil die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung des sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags im anwendbaren Tarifvertrag (§ 30 Abs. 5 TVöD-K) geregelt ist. Die Beklagte konnte das Arbeitsverhältnis daher unter Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist von vier Wochen zum Schluss eines Kalendermonats am 22. Juli zum 31. August 2021 kündigen. Eines Kündigungsgrundes iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedurfte es nicht.
  2. Die Kündigung der Beklagten ist nicht gemäß § 134BGB wegen eines Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot des § 612aBGB unwirksam.
  3. a) Nach § 612aBGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Vereinbarung oder Maßnahme benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Die Norm erfasst einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit. Das Benachteiligungsverbot soll den Arbeitnehmer in seiner Willensfreiheit bei der Entscheidung darüber schützen, ob er ein Recht ausüben will oder nicht. Diese Entscheidung soll er ohne Furcht vor wirtschaftlichen oder sonstigen Repressalien des Arbeitgebers treffen können. Eine Rechtsausübung in diesem Sinne kann nicht nur in der Geltendmachung von Ansprüchen bestehen, sondern auch in der Wahrnehmung sonstiger Rechtspositionen. Von § 612 a BGB wird auch die Ausübung von Grundrechten erfasst, soweit sie im Verhältnis zum Arbeitgeber rechtserheblich sind (vgl. BAG 21.09.2011 - 7 AZR 150/10- Rn. 33 mwN). Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB liegt vor, wenn die zulässige Rechtsausübung der tragende Beweggrund, dh. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme ist. Als Maßnahme iSd. § 612a BGB kommen auch Kündigungen in Betracht (vgl. BAG 18.11.2021 - 2 AZR 229/21 - Rn. 28 mwN).
  4. b) Die Klägerin hat vorliegend von ihrem Recht Gebrauch gemacht, sich nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Sie war bei Zugang der Wartezeitkündigung vom 22. Juli 2021 weder gesetzlich noch arbeitsvertraglich zu einer derartigen Impfung verpflichtet.
  5. aa) Für Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich, ua. in Krankenhäusern, gilt erst ab 16. März 2022 eine gesetzliche Impfpflicht gegen COVID-19. Nach dem mit Wirkung zum 12. Dezember 2021 geänderten Infektionsschutzgesetz (§ 20aIfSG) müssen alle Beschäftigten, die im Gesundheits- und Pflegebereich tätig sind, ihrem Arbeitgeber bis zum 15. März 2022 einen Nachweis über eine vollständige COVID-19-Schutzimpfung, einen Genesenennachweis oder ein ärztliches Attest, wenn sie sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, vorlegen. Personen, die erst ab dem 16. März 2022 im Gesundheits- und Pflegebereich tätig werden sollen, haben vor Beginn ihrer Tätigkeit einen entsprechenden Nachweis vorzulegen. Andernfalls dürfen sie dort weder beschäftigt noch tätig werden.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 27. April 2022 (1 BvR 2649/21NJW 2022, 1999) entschieden, dass die in § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a IfSG für Krankenhauspersonal geregelte Pflicht, insbesondere eine COVID-19-Schutzimpfung nachzuweisen, die dort Beschäftigten nicht in ihren Rechten insbesondere aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Soweit die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes in die genannten Grundrechte eingriffen, seien diese Eingriffe verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe im Rahmen des ihm zustehenden Einschätzungsspielraums einen angemessenen Ausgleich zwischen dem mit der Nachweispflicht verfolgten Schutz vulnerabler Menschen vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und den Grundrechtsbeeinträchtigungen gefunden. Trotz der hohen Eingriffsintensität müssten die grundrechtlich geschützten Interessen der im Gesundheits- und Pflegebereich tätigen Personen letztlich zurücktreten. Der Zweck, vulnerable Personen vor einer schwerwiegenden oder sogar tödlich verlaufenden COVID-19-Erkrankung zu schützen, sei ein besonders gewichtiger Belang von Verfassungsrang. Dies gelte im besonderen Maße, wenn sich Betroffene weder selbst wirksam schützen noch dem Kontakt ausweichen können, weil sie - wie im Krankenhaus - auf eine medizinische Behandlung angewiesen seien. Das Personal in Heil- und Pflegeberufen stehe aufgrund der Natur seiner beruflichen Tätigkeit regelmäßig in intensivem und engem Kontakt zu vulnerablen Personen, wodurch das durch die fehlende Impfung oder Genesung erhöhte Transmissionsrisiko akut werde und die Schutzbedürftigkeit vulnerabler Personen ungleich steige. Der Gesetzgeber habe zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes annehmen dürfen, dass eine COVID-19-Schutzimpfung zum Schutz Anderer beitrage und der Nutzwert von Impfungen derjenigen Personen, die Kontakt mit vulnerablen Personen haben, besonders hoch sei.

  1. bb) Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 27. April 2022 (1 BvR 2649/21) im Einzelnen begründet, warum die Argumente, die auch die Klägerin gegen die Geeignetheit einer COVID-19-Impfung zum Schutz von Leben und Gesundheit vulnerabler Gruppen im vorliegenden Rechtsstreit ins Feld führt, nicht durchgreifen. Der Nutzwert von Impfungen der Personen, die Kontakt mit vulnerablen Menschen haben, wurde im Rahmen der Eignungsprognose von einer fachwissenschaftlich deutlichen Mehrheit als besonders hoch eingeschätzt (Rn. 157 ff, 173 f). Eine Impfung des Pflegepersonals reduziere das Infektionsrisiko für vulnerable Gruppen. Andere Mittel seien nicht gleich geeignet, vulnerable Menschen zu schützen. Eine Testung könne keinen gleichwertigen Schutz wie eine Immunisierung gerade bei Kontakt mit besonders vulnerablen Personen darstellen (Rn. 192 ff). Auch sonstige Verhaltensregeln, wie etwa das Abstandhalten, das Tragen einer (medizinischen) Schutzmaske, die Einhaltung von Hygieneregeln, regelmäßiges Lüften oder das Einsetzen eines Luftfilters, seien nicht gleich wirksam wie eine COVID-19-Impfung (Rn. 197 ff). Dem hat die Berufungskammer nichts hinzuzufügen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschlüssen vom 7. Juli 2022 (1 WB 2.221 WB 5.22 - Pressemitteilung Nr. 44/2022) in Verfahren zweier Soldaten gegen die Verpflichtung, die COVID-19-Impfung zu dulden, festgestellt, dass die Impfung gegenüber der nunmehr vorherrschenden Omikron-Variante eine noch relevante Schutzwirkung im Sinne einer Verringerung der Infektion und Transmission bewirke.

  1. cc) Auch wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Wartezeitkündigung im Juli 2021 noch keine gesetzliche Pflicht für die Klägerin bestand, eine Covid-19-Impfung nachzuweisen, verstößt die Kündigung der Beklagten nicht gegen § 612a

Dabei ist hervorzuheben, dass in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden kann. Der Arbeitgeber ist daher nicht befugt, den Arbeitnehmern, selbst wenn sie als Pflegepersonal in einem Krankenhaus im engen Kontakt zu Patienten stehen, kraft seines Direktionsrechts eine COVID-19-Impfung vorschreiben, weil ansonsten der Gesetzesvorbehalt ausgehebelt würde. Wie das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 27. April 2022 (1 BvR 2649/21) ausgeführt hat, liegt eine zielgerichtete mittelbare Beeinträchtigung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vor, wenn eine Entscheidung gegen die Impfung mit nachteiligen Konsequenzen verbunden ist (Rn. 114 ff). Die Beklagte unterliegt als Krankenhaus in kommunaler Trägerschaft einer unmittelbaren Grundrechtsbindung, obwohl sie in privater Rechtsform organisiert ist. Für öffentliche Unternehmen in Privatrechtsform, die - wie die Beklagte - vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, ist anerkannt, dass die Grundrechtsbindung nicht nur den oder die Träger des jeweiligen Unternehmens trifft, sondern das Unternehmen selbst (vgl. BAG 12.04.2016 - 9 AZR 673/14 - Rn. 14 mwN).

Entgegen der Ansicht der Berufung liegt nicht (nur) ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin (Art. 2 Abs. 1 GG) vor, der durch Wahrnehmung überwiegender schutzwürdiger Interessen der Beklagten gerechtfertigt sein kann (vgl. BAG 23.08.2012 - 8 AZR 804/11 - Rn. 36 mwN). Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) steht unter Gesetzesvorbehalt. Auch eine kollektivrechtliche Regelung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat könnte einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nicht rechtfertigen, so dass es auf die Ausführungen der Klägerin zum Erfordernis freiwilliger Betriebsvereinbarungen nach § 88 Nr. 1 BetrVG oder Mitbestimmungsrechten nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht ankommt.

Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte innerhalb der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG das Arbeitsverhältnis kündigen konnte. Die ordentliche Kündbarkeit des befristeten Arbeitsvertrags war in § 30 Abs. 5 TVöD-K iSv. § 15 Abs. 3 TzBfG tariflich vereinbart. Die Wartezeit von sechs Monaten dient der beiderseitigen Überprüfung der Arbeitsvertragsparteien, ob sie das Arbeitsverhältnis über die Wartezeit hinaus fortsetzen wollen. In der Wartezeit besteht Kündigungsfreiheit sowohl des privaten als auch des öffentlichen Arbeitgebers. Die Kündigungsfreiheit des privaten Arbeitgebers ist durch Art. 12 Abs. 1 GG bzw. durch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit iSv. Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Die grundrechtliche Gewährleistung erstreckt sich auch auf das Interesse des Arbeitgebers, in seinem Unternehmen nur Mitarbeiter zu beschäftigen, die seinen Vorstellungen entsprechen. Der Gesetzgeber gewährt auch dem öffentlichen Arbeitgeber das Recht, in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG zu prüfen, ob der neu eingestellte Arbeitnehmer seinen Vorstellungen entspricht (vgl. BVerfG 21.06.2006 - 1 BvR 1659/04 - Rn. 17 f.; BAG 22.04.2010 - 6 AZR 828/08 - Rn. 41 mwN).

In der gesetzlichen Wartezeit unterliegt die Bildung der Meinung des Arbeitgebers, ob ein Arbeitnehmer seinen Vorstellungen entspricht, von Missbrauchsfällen abgesehen, keiner Überprüfung nach objektiven Maßstäben. Kommt der Arbeitgeber bei dieser Prüfung zu einem negativen Ergebnis, kann er das Arbeitsverhältnis grundsätzlich frei kündigen, ohne auf entgegenstehende Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen zu müssen. Die während der Wartezeit grundsätzlich bestehende Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers ist das Gegengewicht zu dem im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes entstehenden materiellen Kündigungsschutz, der die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers nicht unerheblich beschneidet (vgl. BAG 12.09.2013 - 6 AZR 121/12 - Rn. 26 mwN).

Die Beklagte durfte daher in der gesetzlichen Wartezeit von sechs Monaten mit Blick auf den Infektionsschutz der Patienten und der übrigen Beschäftigten ihres Krankenhauses das Anforderungsprofil so ausgestalten, dass sie in ihrem Krankenhaus nur noch Pflegepersonal beschäftigen will, die ihr eine COVID-19-Schutzimpfung nachweisen. Dass von den 3.100 Beschäftigten des Krankenhauses (nach der Erklärung des Geschäftsführers der Beklagten im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht) insgesamt 250 nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft waren, ist unerheblich. Da die Klägerin nach § 1 Abs. 1 KSchG keinen Kündigungsschutz hat, kann sie keine Gleichbehandlung mit den Arbeitnehmern beanspruchen, die dem Kündigungsschutz unterliegen. Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt auch keine Diskriminierung aufgrund ihres befristeten Arbeitsverhältnisses (Art. 51 und Art. 20 EUR-GRCharta iVm. Art. 2 RL 1999/70/EG und § 4 EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge) vor. Die Klägerin übersieht, dass auch befristet beschäftigte Arbeitnehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen gesetzlichen und tariflichen Kündigungsschutz erlangen. Sie sind gegen eine arbeitgeberseitige Kündigung in gleicher Weise geschützt wie unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer. In den ersten sechs Monaten kann der Arbeitgeber sowohl befristet beschäftigten als auch unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern grundsätzlich frei kündigen.

Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus der Maximalversorgung. Sie traf bereits vor Einführung des § 20 IfSG die Pflicht, insbesondere die Patienten in ihrem Krankenhaus, aber auch die Belegschaft vor einer Infektion zu schützen. Es ist außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes nicht zu beanstanden, dass sie schon vor dem Stichtag 15. März 2022 nur Pflegepersonal beschäftigen wollte, dass gegen SARS-CoV-2 geimpft ist. Die Entscheidung, der Klägerin in der sechsmonatigen Wartezeit zu kündigen, beruht auf einem sachlichen Grund und keinem zu missbilligenden Motiv. Wie das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 10. Februar 2022 (1 BvR 2649/21 zur Ablehnung einer einstweiligen Anordnung) ausgeführt hat, erhöhte sich bei einer geringeren Impfquote in bestimmten Einrichtungen, unter anderem in Krankenhäusern, die Gefahr, dass sich die dort Beschäftigten infizieren und sie dann das Virus auf vulnerable Personen übertragen. In der Folge müsse damit gerechnet werden, dass sich die Patienten mit dem Virus infizieren, schwer an COVID-19 erkranken oder gar versterben. Benötigen vulnerable Personen eine Krankenhausbehandlung, können sie einem Kontakt mit ungeimpftem Pflegepersonal nicht ausweichen.

Im Zeitpunkt der Kündigung der Klägerin im Juli 2021 beherrschte noch die Delta-Variante des Coronavirus das Infektionsgeschehen. Sie führte zu einem besorgniserregenden Anstieg der Zahl der Infektionen, Krankenhausaufenthalte und Todesfälle. Das Risiko der Patienten von ungeimpftem Pflegepersonal im Krankenhaus mit Covid-19 infiziert zu werden, war besonders hoch. Es ist nicht zu missbilligen, dass die Beklagte im Spannungsfeld zwischen den Individualrechten der Klägerin und ihren Schutzpflichten gegenüber den Patienten sowie der übrigen Belegschaft das Arbeitsverhältnis unter Verweis auf die fehlende Impfbereitschaft in der Wartezeit gekündigt hat. Dass das Handeln der Beklagten ausschließlich oder primär von fiskalischen Motiven geprägt sein könnte, wie die Klägerin meint, ist nicht erkennbar. Coronatests bieten - wie bereits ausgeführt - keinen gleichwertigen Schutz wie eine Impfung. Die Klägerin kann mit Verweis auf § 612a BGB nicht verlangen, dass die Beklagte ein Schutzkonzept umsetzt, das der von ihr gewünschten Form der Ausgestaltung entspricht (vgl. zu diesem Aspekt ArbG Berlin 03.02.2022 - 17 Ca 11178/21 zur Probezeitkündigung einer ungeimpften Musicaldarstellerin). Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Juli 2021 ist daher rechtswirksam und hat das Arbeitsverhältnis zum 31. August 2021 aufgelöst.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

 

LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.07.2022 - 5 Sa 461/21

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