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Kündigungsschutzklage - Klagefrist - Schleppnetzantrag
Arbeitsrecht

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13.02.2024, 2 Sa 101/23

Leitsatz

  1. Es ist anerkannt, dass ein Arbeitnehmer neben einer nach § 4 KSchG gegen eine bestimmte Kündigung gerichteten Klage eine allgemeine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen über den Kündigungstermin hinaus erheben und damit zwei selbstständige prozessuale Ansprüche geltend machen kann.
  2. Streitgegenstand der allgemeinen Feststellungsklage ist dabei die Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz noch besteht. Erfasst werden daher von einem solchen Antrag sämtliche bis zur letzten mündlichen Verhandlung eintretenden Beendigungstatbestände.

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 01.08.2023 zum Aktenzeichen 6 Ca 507/23 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses auf Grund arbeitgeberseitiger Kündigungen.

Die im November 1992 geborene Klägerin ist seit dem 12.09.2022 bei der Beklagten als staatlich anerkannte Erzieherin/Gruppenleitung zuletzt zu einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von 2.927,29 Euro beschäftigt.

Bei der Beklagten sind in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne von § 23 KSchG tätig.

Mit Schreiben vom 17.04.2023 (Anlage K2, Blatt 6 der Akte), der Klägerin am 18.04.2023 zugegangen, hat die Beklagte für das Arbeitsverhältnis der Parteien eine ordentliche Kündigung zum 15.05.2023, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin ausgesprochen. Dieses Kündigungsschreiben enthält keinerlei eigenhändige Unterschrift, sondern lediglich ein Faksimile der Unterschrift des Einrichtungsleiters. Ein weiteres identisches Kündigungsschreiben, auf welchem die Klägerin den Empfang des Kündigungsschreibens bestätigt hat, enthält ebenfalls keine eigenhändige Unterschrift.

Mit ihrer am 08.05.2023 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Nichtigkeit der ausgesprochenen Kündigung wegen Formunwirksamkeit geltend gemacht und dazu unter anderem folgende Anträge angekündigt:

 

  1. Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung der Beklagten vom 17.04.2023, zugegangen am 18.04.2023, zum 15.05.2023 nicht aufgelöst worden ist, sondern das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis fortbesteht.

Im Termin der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht am 25.05.2023 wies die Klägerin darauf hin, dass ihr am 17.05.2023 eine weitere ordentliche Kündigung vom selben Tage zum 15.06.2023 zugegangen sei sowie am 23.05.2023 eine außerordentliche Kündigung vom 23.05.2023. Die Klägerin teilte mit, dass bei ihr zwischenzeitlich eine Schwangerschaft festgestellt sei und hat dem Gericht Schriftsätze vom 24.05.2023 überreicht. In der Sitzungsniederschrift heißt es hierzu: „Weiter wendet sich die Klägerin gegen eine ordentliche Kündigung, die unter dem 17.05.2023 ausgesprochen wurde sowie eine außerordentliche Kündigung vom 23.05.2023.“ … „Die Klägerin überreicht weiter einen Schriftsatz vom 24.05.2023, der in Abschrift dem Beklagtenvertreter ausgehändigt wird. Dieser Schriftsatz umfasst eine Klageerweiterung.“

Die von der Klägerin im Termin dem Gericht übergebenen Schriftsätze vom 24.05.2023 enthalten zum einen eine Erledigungserklärung für Teile des Rechtsstreits sowie eine Klageerweiterung bezüglich der Kündigungen vom 17.05.2023 und 23.05.2023. Während der Schriftsatz zur Erledigungserklärung durch die Klägerin eigenhändig unterzeichnet ist, enthält der Schriftsatz zur Klageerweiterung bezüglich der Kündigungen vom 17.05.2023 und 23.05.2023 keinerlei Unterschrift der Klägerin.

Unter dem 13.06.2023 sprach die die Klägerin behandelnde Gynäkologin ein Beschäftigungsverbot mit Wirkung vom 13.06.2023 bis 25.08.2023 als individuelles Beschäftigungsverbot aus.

Die Klägerin hat zudem eine ärztliche Bescheinigung über eine Schwangerschaft vom 04.07.2023 zur Akte gereicht sowie Laborbefunde (Blatt 45 ff. der Akte).

Die Klägerin hat vorgetragen, da sich auf Grund des voraussichtlichen Entbindungstermins, 03.02.2024, ein Beginn der Schwangerschaft im rechtlichen Sinne am 30.04.2023 ergebe, seien nach diesem Datum ausgesprochene Kündigungen unwirksam. Die zuvor ausgesprochene Kündigung vom 17.04.2023 sei wegen Formmangels nichtig.

 

Die Klägerin hat beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung der Beklagten vom 17.04.2023, zugegangen am 18.04.2023, zum 15.05.2023 nicht aufgelöst worden ist, sondern das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis fortbesteht,
  2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung der Beklagten vom 17.05.2023, zugegangen am 17.05.2023, zum 15.06.2023 nicht aufgelöst worden ist, sondern das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis fortbesteht,
  3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung der Beklagten vom 23.05.2023, zugegangen am 23.05.2023, nicht aufgelöst worden ist, sondern das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis fortbesteht,
  4. für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1., 2. und 3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin über den 23.05.2023 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als staatlich anerkannte Erzieherin/Gruppenleiterin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat eine Schwangerschaft bei der Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigungen bestritten und sich darauf berufen, dass die Kündigungen vom 17.05.2023 und 23.05.2023 nicht rechtzeitig im Rahmen der Klagefrist angegriffen und damit wirksam seien.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung angeführt, die Kündigung vom 17.04.2023 erfülle nicht die gemäß § 623 BGB erforderliche Schriftform, da sie keine eigenhändige Unterschrift aufweise. Sie sei daher formunwirksam und deshalb nichtig (§ 125 BGB).

Die Kündigungen vom 17.05.2023 und 23.05.2023 seien gemäß § 17 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) unwirksam, weil die Klägerin zum Zeitpunkt ihres Ausspruches bereits schwanger gewesen sei. Die Fiktion der §§ 4, 7 KSchG sei nicht eingetreten, weil die Klägerin rechtzeitig Klage durch Einreichung der Klageerweiterung im Termin der Güteverhandlung vom 25.05.2023 erhoben habe. Dem stehe eine fehlende klägerische Unterschrift nicht entgegen, weil sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, ergebe. Angesichts der Übergabe des Schriftsatzes im Termin der Güteverhandlung, des Hinweises im Protokoll, dass es sich um eine Klageerweiterung handele und der klägerischen Erklärung zu Protokoll, dass sie sich gegen beide Kündigungen wende, bestehe kein Zweifel, dass die Klägerin den ihr eindeutig zuzurechnenden Schriftsatz in den Rechtsverkehr habe bringen wollen.

Gegen das ihr am 11.08.2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 31.08.2023 beim Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 02.10.2023 beim Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern eingegangenem Schriftsatz begründet.

Dazu führt die Beklagte aus, die Kündigungen vom 17.05.2023 und 23.05.2023 seien nicht rechtzeitig im Rahmen der Klagefrist angegriffen, weil der durch die Klägerin eingereichten Klageerweiterung die Unterschrift fehle. Eine Klage müsse schriftlich erfolgen, dies sei vorliegend nicht, auch nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle, geschehen.

Die Beklagte beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin – Aktenzeichen 6 Ca 507/23 – vom 01.08.2023 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung, verweist darauf, dass die Klageerweiterung durch Übergabe in der Verhandlung zugestellt sei und beide Parteien streitig zur Klageerweiterung verhandelt haben.

Durch gerichtlichen Beschluss vom 06.11.2023 ist darauf hingewiesen worden, dass unabhängig davon, ob der Auffassung des Arbeitsgerichts zum Erfordernis der Unterschriftsleistung unter die Klageerweiterung vom 23.05.2023 gefolgt werde, die Klagefrist gemäß § 4 KSchG durch Ankündigung des sogenannten „Schleppnetzantrages“ in der Klage vom 05.05.2023 gewahrt sein dürfte. Den Parteien wurde Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweis gewährt. Eine Äußerung ist nicht erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die durch die Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften, die erstinstanzliche Entscheidung verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht auf Grund der durch die Beklagte ausgesprochenen Kündigungen beendet worden, denn die Kündigung vom 17.04.2023 ist mangels Einhaltung des erforderlichen Schriftformerfordernisses nichtig, die innerhalb der maßgeblichen Klagefrist angegriffenen Kündigungen vom 17.05.2023 und 23.05.2023 sind wegen Verstoßes gegen § 17 MuSchG unwirksam.

  1. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg.

1.

Die ausgesprochenen Kündigungen sind nicht bereits deshalb wirksam, weil es die Klägerin versäumt hätte, die gesetzlich vorgeschriebene Klagefrist einzuhalten (§§ 13 Abs. 1 Satz 2, 4, 7 KSchG). Gemäß § 4 KSchG muss ein Arbeitnehmer, der geltend machen will, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht, so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam (§ 7 KSchG). Die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung kann nur nach Maßgabe des § 4 Satz 1 und der §§ 5 bis 7 KSchG geltend gemacht werden (§ 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG).

Unabhängig davon, ob die Klägerin insoweit wegen der Kündigung vom 17.04.2023 wegen der sie sich auf Formnichtigkeit beruft, überhaupt die Klagefrist gemäß § 4 KSchG zu wahren hatte, hat sie die Nichtigkeit dieser Kündigung innerhalb von drei Wochen durch Einreichung der unterzeichneten Klageschrift vom 05.05.2023 nach Zugang der Kündigung am 18.04.2023 innerhalb der geltenden dreiwöchigen Frist eingereicht.

Diese Frist hat sie auch bezüglich der Kündigungen vom 17.05.2023 und 23.05.2023 gewahrt. Es spricht bereits viel dafür, dass trotz der fehlenden Unterschrift unter die Klageerweiterung vom 24.05.2023 eine ordnungsgemäße Klageerhebung durch die Klägerin erfolgt ist, weil sie durch Überreichung der Klageerweiterung im Termin der Güteverhandlung eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, geboten, die Klage mit ihrem Wissen und Wollen bei Gericht eingegangen ist und zudem sich aus dem Inhalt der Sitzungsniederschrift der Güteverhandlung vom 25.05.2023 ergibt, dass die Klägerin eine Klage zu Protokoll erhoben hat.

 

 Die Klägerin hat diese Frist zudem mit ihrer Klage vom 05.05.2023 und dem darin formulierten Antrag: „1. Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung der Beklagten vom 17.04.2023, zugegangen am 18.04.2023, zum 15.05.2023 nicht aufgelöst worden ist, sondern das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis fortbesteht.“ gewahrt. Die Kündigungen vom 17.05.2023 und 23.05.2023 wurden von dem in der Klageschrift vom 05.05.2023 enthaltenen Feststellungsantrag erfasst mit der Folge, dass eine auf diese Kündigungen bezogene nochmalige Klageerhebung innerhalb der Drei-Wochen-Frist nach Kündigungszugang nicht mehr erforderlich war. Streitgegenstand dieser Feststellungsklage ist nämlich die Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz noch besteht. Erfasst werden daher von einem solchen Antrag sämtliche bis zur letzten mündlichen Verhandlung eintretenden Beendigungstatbestände.

Die Klägerin hat mit dieser Klage den sogenannten „Schleppnetzantrag“ gestellt. Es ist anerkannt, dass ein Arbeitnehmer neben einer nach § 4 KSchG gegen eine bestimmte Kündigung gerichteten Klage eine allgemeine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen über den Kündigungstermin hinaus erheben und damit zwei selbstständige prozessuale Ansprüche geltend machen kann. Diese Anträge kann er gemäß § 260 ZPO zulässig in einer Klage verbinden. Wählt der Arbeitnehmer den Weg des sogenannten „Schleppnetzantrages“, ist ausgehend vom sogenannten erweiterten punktuellen Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage Gegenstand des allgemeinen Feststellungsantrages der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den in der daneben angegriffenen Kündigung avisierten Beendigungstermin hinaus bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Die Klage soll, soweit sie neben der Klage gemäß § 4 Satz 1 KSchG erhoben wird, klären, ob das Arbeitsverhältnis auf Grund von Beendigungstatbeständen aufgelöst worden ist, die vom Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nicht erfasst sind. Es wird der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, und zwar unter Einbeziehung eventueller Kündigungen geprüft; es sind deshalb alle nach dem Vortrag der Parteien in Betracht kommenden Beendigungsgründe zu erörtern. Hat der Arbeitnehmer eine allgemeine Feststellungsklage erhoben und punktualisiert er im Hinblick auf eine nachfolgend erklärte weitere Kündigung, deren Wirkungen vom allgemeinen Feststellungsantrag erfasst sind, einen Teil dieses Feststellungsantrages, ist dies gemäß § 264 Nr. 2 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen. Bereits mit der Erhebung der allgemeinen Feststellungsklage ist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den in der mit dem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG angegriffenen Kündigung avisierten Beendigungstermin hinaus bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz Gegenstand des Rechtsstreits geworden (BAG, Urteil vom 16.12.2021 – 6 AZR 154/21- Rn. 15 ff., juris).

Hat der Arbeitnehmer neben der Klage gegen eine konkret bezeichnete Kündigung im Sinne von § 4 Satz 1 KSchG binnen Drei-Wochen-Frist eine Feststellungsklage nach § 256 ZPO erhoben, die sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gegen jeglichen Auflösungstatbestand richtet, dessen sich der Arbeitgeber rühmen sollte, ersieht dieser daraus – entsprechend dem Sinn und Zweck des § 4 KSchG –, dass der Arbeitnehmer sich auch gegen weitere (eventuelle vorsorgliche) Kündigungen wenden will. Der Arbeitnehmer kann deshalb im Rahmen eines solchen allgemeinen Feststellungsantrages sonstige Kündigungen noch nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist in den Prozess einführen und sich auf deren Unwirksamkeit berufen. Das folgt aus dem Rechtsgedanken des § 6 KSchG. Der Arbeitnehmer ist nach Kenntnis von einer weiteren Kündigung gehalten, diese nunmehr eigens in den Prozess einzuführen und unter entsprechender Einschränkung des allgemeinen Feststellungsantrages im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO einen dem Wortlaut des § 4 KSchG angepassten Antrag zu stellen. Diese Modifikation kann er auf Grund der durch den allgemeinen Feststellungsantrag offen gehaltenen Möglichkeit eines Angriffs noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vornehmen (BAG, Urteil vom 26.09.2013 – 2 AZR 682/12 – Rn. 33, juris).

Die Klägerin hat die weiteren streitbefangenen Kündigungen vom 17.05.2023 und 23.05.2023 bereits im Termin der Güteverhandlung zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht und dieses mit ihrer Antragstellung im Termin der Kammerverhandlung wiederholt. Sie hat damit von der auf Grund der durch den allgemeinen Feststellungsantrag offen gehaltenen Möglichkeit eines Angriffs noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz Gebrauch gemacht. Eine Versäumung der Klagefrist ist danach nicht gegeben. Durch den allgemeinen Feststellungsantrag und eine spätere Punktualisierung der konkreten Kündigungen ist die Klageerhebungsfrist des § 4 Satz 1 KSchG gewahrt.

  1.  

Die Kündigung vom 17.04.2023 erfüllt nicht die gemäß § 623 BGB erforderliche Schriftform, was die Nichtigkeit dieser Kündigung gemäß § 125 BGB zur Folge hat.

Nach § 126 Abs. 1 BGB muss die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden, wenn durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben ist. § 623 BGB sieht vor, dass die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedarf. Die Kündigung vom 17.04.2023 wahrt nicht die Schriftform, weil sie nicht von einer zur Vertretung der Beklagten bevollmächtigten Person eigenhändig unterzeichnet ist. Diese Kündigung kann deshalb das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beenden. Sie ist nichtig.

3.

Die Kündigungen vom 17.05.2023 und 23.05.2023 sind gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Verbindung mit § 134 BGB unwirksam. Eine zur Wirksamkeit erforderliche Zustimmung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 MuSchG liegt nicht vor.

Gemäß § 17 Abs. 1 MuSchG ist eine Kündigung gegenüber einer Frau während ihrer Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt ist, oder wenn sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Die Klägerin kann sich auf diesen Sonderkündigungsschutz berufen, was zur Unwirksamkeit der Kündigungen nach § 134 BGB führt.

Die Klägerin war beim Zugang der Kündigung vom 17.05.2023 am selben Tage sowie der außerordentlichen Kündigung vom 23.05.2023, ebenfalls am selben Tage zugegangen, schwanger. Die ärztliche Bescheinigung vom 04.07.2023 weist als voraussichtlichen Entbindungstermin den 03.02.2024 aus. Der Beginn des Kündigungsverbots aus § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG wird bei natürlicher Empfängnis in entsprechender Anwendung von § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 MuSchG in der Weise bestimmt, dass von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgerechnet wird (BAG, Urteil vom 24.11.2022 – 2 AZR 11/22 – Rn. 30, juris). Die Daten 17.05.2023 und 23.05.2023 liegen innerhalb des Zeitraums von 280 Tagen rückgerechnet ab dem 03.02.2024. Die Klägerin hat ihre Schwangerschaft der Beklagten im Termin der Güteverhandlung am 25.05.2023 und damit innerhalb der zweiwöchigen Frist nach Zugang der streitbefangenen Kündigungen mitgeteilt. Sie kann sich folglich auf den Sonderkündigungsschutz berufen.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist somit durch die streitbefangenen Kündigungen nicht beendet.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Beklagte hat, da sie mit ihrem Rechtsmittel unterliegt, die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 72 ArbGG) bestehen nicht.

 

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