Bundesarbeitsgericht bestätigt Grundsätze der Beweislast im Überstundenprozess
(Stuttgart) Verlangt ein Arbeitnehmer die Abgeltung von Überstunden, muss er genau darlegen und beweisen, wann und in welchem Umfang er Mehrarbeit geleistet hat. Europäische Rechtsprechungsvorgaben, wonach eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht, ändern nichts an der Beweislast im Überstundenprozess, entschied das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 04.05.2022.
Die Rechtslage stellt der Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott dar.
Arbeitsrechtliche Vorgaben zur Vergütung von Überstunden
Macht ein Arbeitnehmer die Bezahlung von außerhalb seiner regulären Arbeitszeit angefallener Überstunden geltend, so muss er zunächst konkret auf den jeweiligen Tag bezogen angeben, wann er mehr als vereinbart gearbeitet hat. Zudem muss der Arbeitnehmer darlegen können, dass die Mehrarbeit vom Arbeitgeber angeordnet oder jedenfalls von diesem gebilligt worden ist, sprich das Unternehmen hiervon Kenntnis hatte. „Die Geltendmachung von Überstunden unterliegt damit in der Praxis hohen Anforderungen“, so Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott. „Kann der Arbeitnehmer diese genauen Nachweise nicht erbringen, wird er die Bezahlung von Überstunden in der Regel nicht erfolgreich geltend machen können“, so der Hamburger Fachanwalt Fuhlrott.
Aktueller Fall vor dem Bundesarbeitsgericht: Zahlung von 429 Überstunden
Ob es bei diesen strengen Anforderungen bleibt, hatte am 04.05.2022 das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden. Dieses musste über die Klage eines ehemaligen Auslieferungsfahrers über 429 Überstunden in Höhe von rund EUR 6.400,- entscheiden. Zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber war streitig geblieben, ob der Arbeitnehmer die Zeiten tatsächlich gearbeitet hatte. Eine eindeutige Arbeitszeiterfassung fehlte.
Der Arbeitnehmer berief sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2019. Mit dieser Entscheidung (v. 14.5.2019, Az: C-55/18) hatte der EuGH entschieden, dass alle europäischen Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, ein effektives System zur Erfassung der Arbeitszeit einzuführen. Denn nur so könne sichergestellt werden, dass die rechtlichen Vorgaben auch tatsächlich eingehalten würden, argumentierte der Auslieferungsfahrer. Dieser Auffassung folgte das erstinstanzlich entscheidende Arbeitsgericht Emden (Urt. v. 9.11.2020, Az.: 2 Ca 399/18), das der Klage stattgab und den Arbeitgeber zur Zahlung der Überstunden verurteilte. Im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Urt. v. 6.5.2021, Az.: 5 Sa 1292/20) obsiegte hingegen das Unternehmen.
Bundesarbeitsgericht: Keine Änderung der Beweislast im Prozess
Daher musste nunmehr das Bundesarbeitsgericht (BAG) als höchstes deutsches Arbeitsgericht über diese Rechtsfragen entscheiden. Es folgte der Auffassung des Landesarbeitsgerichts und wies die Revision zurück (Urt. v. 04.05.2022, Az.: 5 AZR 359/21 = PM Nr. 16/22 des Bundesarbeitsgerichts). Die Grundsätze zur Darlegungslast würden durch das Urteil des EuGH nicht verändert. Die Vorgaben des EuGH dienten dem Gesundheitsschutz. Sie fänden indes grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer. Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit habe deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess, so die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts.
Praxisfolgen: Aufatmen bei Unternehmen
„Macht ein Arbeitnehmer damit Überstunden geltend, muss er wie bisher genau darlegen, wann er Überstunden geleistet hat“, so Arbeitsrechtler Fuhlrott. Bei Unternehmen dürfte die Entscheidung zum Aufatmen führen, meint Michael Fuhlrott: „Arbeitgebern, die die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter nicht erfasst haben, droht nach dem Urteil keine Flut von Prozessen auf Abgeltung von Überstunden“. Gleichwohl sei das Thema nicht endgültig erledigt, meint der Arbeitsrechtler: „Deutschland steht nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2019 in der Pflicht, ein rechtlich effektives System zur Erfassung der Arbeitszeit einzuführen. Daran ändert auch die heutige Entscheidung nichts“.
Fuhlrott empfiehlt Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei Fragen zur Berechnung und Geltendmachung von Überstundenvergütung Rechtsrat einzuholen, wobei er dazu u.a. auf den VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verweist.
VDAA - Stuttgart, den 04. Mai 2022
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